Gewohnte Grenzen und Rituale geben dem Kind Sicherheit und Orientierung – Kommen Kinder mit dem Thema Sterben, Tod und Trauer in Kontakt, unterscheidet sich ihr Empfinden je nach Alter, den Menschen in Ihrer Umgebung und den bereits entwickelten Vorstellungen von Leben und Tod.
Trauer ist für Babys schon im Mutterleib spürbar
Eine Mutter berichtet in einem Trauerforum von ihrer Trauererfahrung während ihrer Schwangerschaft: Sie war im siebten Monat mit ihrer Tochter schwanger, als sie per Telefon vom plötzlichen Tod ihres Vaters erfuhr. In diesem Schockmoment, den sie natürlich am ganzen Körper spürte und der sie sofort zittern und auch weinen ließ, fühlte sie einen Ruck in ihrem Bauch.
Ihre Tochter hatte sich umgedreht und wollte laut Aussage der Hebamme näher an ihrem Herzen sein. Etwa zwei Wochen später als die erste, intensive Aufregung von ihr wich, spürte sie, wie sich ihr Baby wieder zurückdrehte. Vielleicht war es ein Zufall.
Aber vielleicht ist es auch der Beweis dafür, dass die starken Emotionen sich deutlich auf das Baby im Bauch ausgewirkt haben. Dieser Eindruck wird auch von einigen medizinischen Studien und erfahrenen Hebammen bestätigt.
Schon vor dem Hintergrund dieser Erfahrung steht es außer Frage, dass Trauer bereits für Babys und Kleinkinder spürbar ist – auch wenn sie scheinbar noch nichts mit Tod und Sterben anfangen können. Dass die Welt aus belebten und unbelebten Dingen besteht und dass etwas tot sein kann, erfahren Kinder schon im frühesten Kleinkindalter.
Damit sind durchaus ganz eigene, oft von der Erwachsenenwelt weit entfernte Vorstellungen über den Tod verbunden, die sich mit zunehmender Entwicklung und Reife des Kindes ändern. Dabei unterscheidet sich der Entwicklungsstand, wie in anderen Bereichen auch, von Kind zu Kind.
Ein anderes Verständnis von Tod
Falls Sie denken, dass Kinder vor der Schule nicht über den Tod nachdenken, liegen Sie falsch. Beim Blick in die Natur entdecken auch die Kleinsten, dass Tiere sterben und Pflanzen verwelken. Einige stellen bereits schon mit zwei oder drei Jahren Fragen, warum und wie etwas tot oder kaputt gehen kann.
Sind die Reaktionen im Umfeld auf diese Fragestellungen offen und kindgerecht, setzen sich Kinder immer wieder mal mit diesen Themen auseinander. Spüren Sie bei den Erwachsenen Unbehagen, verebbt das Interesse oft schneller, da sie meist ein sehr feines Gespür für die Gefühlslage ihrer Bezugspersonen haben und keine negativen Reaktionen hervorrufen möchten.
Im Gegensatz zu der Vorstellung vieler Erwachsenen, sind Leben und Tod für die meisten Kinder untrennbar miteinander verbunden. Dies zeigen unter anderem die entwicklungspsychologischen Erkenntnisse von Jean Piaget. Dieser fand in seinen zahlreichen Feldstudien heraus, dass bei Kindern
- zwischen dem dritten und sechsten Lebensjahr Nützlichkeit, Zweck und Aktivität mit etwas Lebendigem verbunden wird. Ist etwas unbelebt und tot, ist es aus dieser Sicht nicht mehr zweckgemäß. So wird ein ausgeblasenes Kerzenlicht von einigen Kleinkindern durchaus schon mit der Eigenschaft tot beschrieben.
- in der Grundschulzeit die Idee vorherrscht, dass sich Bewegendes lebendig und Unbewegliches tot ist.
- zwischen dem achtem und zwölften Geburtstag die Eigenbewegung ein Indiz dafür ist, ob etwas lebt.
- erst ab dem zwölften Lebensjahr nur noch Menschen, Tiere und Pflanzen mit Lebendigem verbunden werden.
Kinder trauern anders
Stirbt ein nahestehender Mensch, haben Kinder unter fünf Jahren oft die Vorstellung, dass ein Toter nur vorübergehend woanders ist. In solchen Situationen erzählen einige Erwachsene, dass ein Verstorbener für immer schläft. Diese Behauptung erscheint ihnen vielleicht tröstlich.
Bei einigen Kindern löst sie allerdings die Angst aus, dass jemand, der ins Bett geht, vielleicht nie wieder aufwacht. Eine Vorstellung, die das abendliche Zubettgeh-Ritual ziemlich durcheinander bringen kann.
Andere beschönigende Ausdrücke (wie «Reise in die Ewigkeit») nehmen einige Kleinkinder ebenfalls wörtlich und protestieren unter Umständen scheinbar grundlos, wenn jemand im Umfeld von seinen Urlaubsplänen erzählt.
Je nach Reaktion des Umfelds und den eigenen Empfindungen stellen trauernde Kinder mitunter sehr viele detaillierte Fragen. Spüren sie, dass ein Elternteil sehr traurig ist, versuchen teilweise schon die ganz Kleinen stark für ihre trauernden Familienmitglieder zu sein und zeigen zunächst keine deutlichen Trauerreaktionen.
In solchen Fällen ist es ratsam, besonders auf das Verhalten des Kindes zu achten, um zu vermeiden, dass Gefühle, wie Trauer und Wut nicht unterdrückt werden. Sie können ein Kind dauerhaft belasten. Das gilt auch für Schuldgefühle, die einige Kinder nach einem Sterbefall entwickeln.
Diese sind zwar aus Erwachsenensicht immer vollkommen unbegründet, müssen aber unbedingt ernst genommen und gegebenenfalls mit Hilfe von außen behandelt werden.
Während sich die Stimmung bei vielen Erwachsenen vergleichsweise langsam wandelt, kann sie bei Kindern und Jugendlichen sehr wechselhaft sein. Spielt ein Kind von einem Augenblick auf den anderen vergnügt und lachend, bedeutet das nicht, dass es die Trauersituation nicht ernst nimmt.
Kinder trauern anders und suchen wie die Großen ihre ganz eigenen Wege, um mit einem so einschneidenden Trennungserlebnis zurecht zu kommen. Sie können einem Kind dabei helfen, indem Sie es aufmerksam beobachten und ihm geduldig zuhören. Fragen Sie in jeder Situation immer wieder nach seinen Bedürfnissen.
Das bedeutet allerdings nicht, dass Sie alle erzieherischen Regeln und Rituale nicht mehr beachten sollen. Im Gegenteil. Gewohnte Grenzen und Rituale geben dem Kind, genauso wie bestimmte Trauerrituale Sicherheit und Orientierung. Das Anzünden einer Kerze für den Verstorbenen und das Aufhängen seine Fotos an einer ganz besonderen Stelle gehören beispielsweise dazu.
Versuchen Sie Ihr Kleinkind nicht vor der Trauer zu schützen, es ist wichtig, dass Sie sich Ihrem Kind ehrlich und loyal gegenüber verhalten. Hinter „verschlossener Tür“ zu trauern aber gleichzeitig vor dem Kind gut gelaunt zu sein, passt nicht zusammen und vermittelt Kindern Unbehagen. Es ist wichtig, sich dem Kind gegenüber so zu verhalten wie Sie sich fühlen. Kinder spüren, wenn es Ihren Nächsten nicht gut geht.
Familienberatungsstellen, Trauerliteratur sowie Selbsthilfegruppen können Ihnen helfen, die passenden Rituale und Umgangsformen während der ersten Trauerzeit und auch im späteren Alltag zu finden. Mittlerweile existieren auch liebevoll gestaltete Kinderbücher zu den Themen Sterben und Tod. Diese können Ihnen helfen, die passenden Worte und Erklärungen zu finden.
Babys und Kinder bei der Trauerfeier
Ob Sie Ihr Kind mit zur Trauerfeier, Beisetzung oder gar zur Abschiednahme am offenen Sarg nehmen möchten, liegt ganz bei Ihnen und Ihren Empfindungen. Nicht die Situation selbst, sondern vielmehr die emotionalen Reaktionen des Umfelds lassen eine Trauerfeier für ein Kind zu einem sehr prägenden Erlebnis werden.
Ist zu erwarten, dass diese zwar traurig, aber dennoch liebevoll und feierlich verläuft, kann solch ein Erlebnis sogar positiv aus Kinderaugen wahrgenommen werden. Meist ist es sinnvoll, dem Kind vorher zu erklären, was bei einer Trauerfeier bzw. Beisetzung geschieht.
Sind Sie als Eltern so sehr mit Ihrer Trauer befasst, dass es Ihnen schwerfallen würde, auf Ihr Kind zu achten, ist es sinnvoll, eine andere Vertrauensperson an die Seite Ihres Kindes zu stellen. Fragen Sie Ihr Kind ruhig nach seiner Meinung und ermöglichen Sie ihm, jederzeit die Trauerfeier, die Trauerhalle oder auch den Friedhof mit entsprechender Betreuung verlassen zu dürfen.
Fazit: Kindern das Trauern zutrauen
Falls Sie denken, dass Tod und Trauer Themen sind, die Kinder noch nicht verstehen oder wahrnehmen können, liegen Sie falsch. Zahlreiche Studien und auch die Erfahrung vieler trauernder Familien zeigen, wie deutlich ein Trauerfall die Erlebenswelt von Babys, Kleinkindern sowie natürlich auch Schulkindern und Jugendlichen beeinflusst.
Dabei sind der Wege und Formen des Umgangs mit der endgültigen Trennung von einem nahen Menschen bei Kindern ganz individuell. Sie unterscheiden sich nicht selten so stark von denen Erwachsener, so dass es hilfreich sein kann, auch bezüglich Ihres Kindes Angebote von Beratungsstellen oder Selbsthilfegruppen anzunehmen.
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