Eine geistige Behinderung gilt als nicht heilbar, aber frühe Förderung kann helfen – Diagnose geistig behindert: Für Eltern sind damit zunächst die unterschiedlichsten emotionalen Reaktionen verbunden, die sie verarbeiten müssen. Zudem gilt es, sich konkret auf die Behinderung des Kindes einzustellen.
Wann wird ein Kind als geistig behindert eingestuft?
«Geistige Behinderung» ist ein Oberbegriff für intellektuell bedingte Defizite. Nach einer Definition der «American Association on Intellectual and Developmental Disabilities» handelt es sich dabei um eine substanzielle Einschränkung sozialer und kognitiver Fähigkeiten. Es wird zwischen mehreren Schweregraden unterschieden – der leichten, mittleren, schweren und der schwersten Form.
Betroffene Kinder haben eine verminderte Auffassungsgabe und tun sich schwer, komplexe Zusammenhänge zu verstehen. Dies beeinträchtigt die Lernfähigkeit, was sich hemmend auf die Entwicklung auswirkt.
Der Schweregrad wird anhand des Intelligenzquotienten (IQ) bestimmt: Ein IQ von 70 bis 85 gilt als Lernbehinderung, 50 bis 70 als leichte geistige Behinderung. Liegt der IQ unter 50, wird dies als mittelschwerer bis schwerer, unter 20 als schwerster Grad bezeichnet. Die tatsächlichen Beeinträchtigungen variieren allerdings mit der Art der Behinderung, die Defizite innerhalb der Einstufung unterscheiden sich entsprechend.
Geistige Behinderung kann auch nach dem Entwicklungsalter eingeteilt werden. So spricht man davon, dass eine erwachsene Person mit einer leichten geistigen Behinderung auf dem Entwicklungsstand einer 15-jährigen Person ist. Handelt es sich um eine mittlere oder schwere geistige Behinderung, so ist der Stand auf dem Entwicklungsniveau eines 6-jährigen Kindes und bei der schwersten auf dem Stand eines 18-Monate alten Kleinkindes.
Auswirkungen auf die Entwicklung
Im Kleinkindalter ist bei einer geistigen Behinderung insbesondere die Wahrnehmungs- und Aufnahmefähigkeit betroffen, das Gehirn verarbeitet verschiedene Informationen nicht oder eingeschränkt. Infolgedessen sind sämtliche Lernprozesse verlangsamt, was sich auf die Entwicklung der Motorik, Koordination und Sprache auswirken kann.
In einigen Fällen geht mit der geistigen eine körperliche Behinderung einher. Auch Verhaltensauffälligkeiten oder Zwangsstörungen können sich einstellen.
Kinder mit einer leichten geistigen Behinderung sind bei entsprechender Förderung und Unterstützung meist in der Lage, das Lernpensum in der Schule zu bewältigen und sich weitgehend in das gesellschaftliche Leben zu integrieren. Sie können im Erwachsenenalter gewöhnlich für sich selbst sorgen und leben selbstständig oder in betreuten Einrichtungen.
Bei mittleren bis schweren Fällen geistiger Behinderung erlernen die betroffenen Kinder meist spätestens im Schulalter sprechen, können später unter Aufsicht weitgehend für sich selbst sorgen oder erlernen zumindest grundlegende Selbstversorgungsfertigkeiten. Sie arbeiten als Erwachsene oft in Behindertenwerkstätten oder verrichten angelernte Arbeiten unter Aufsicht auf dem freien Arbeitsmarkt. Auch in diesen Fällen ist für die Betroffenen ein weitgehend eigenständiges Wohnen in speziellen Einrichtungen möglich.
Liegt die schwerste geistige Behinderung vor, so ist bei den betroffenen Kindern die Sensomotorik stark eingeschränkt. Die Entwicklung von Motorik und einem gewissen Grad an Eigenständigkeit ist mit geeigneter Therapie und ständiger Hilfe durch eine Bezugsperson möglich. Eine lebenslange Pflegebedürftigkeit bleibt jedoch bestehen.
Ursachen
In 30 – 40 % aller Fälle lässt sich die Ursache einer geistigen Behinderung eindeutig feststellen. Meist ist sie aber auf Schädigungen in der Embryonalentwicklung zurückzuführen: Eine Belastung durch schädliche Substanzen wie Alkohol, Nikotin, härtere Drogen und Medikamente können ebenso verantwortlich sein wie eine fehlerhafte Zellteilung, welche häufig zum sogenannten Downsyndrom führt. Daneben können Geburtsschäden, Unfälle sowie Infektionen und Mangelversorgung beim Baby und Kleinkind eine geistige Behinderung zur Folge haben.
Auch genetische Faktoren kommen als Ursache infrage. Mittlerweile ist bekannt, dass geistige Behinderungen durch sogenannte «spontane Mutationen» nach der Befruchtung der Eizelle entstehen können und somit nicht von den Eltern an das Kind weitervererbt wurden. Die Gefahr, ein weiteres Kind mit einer geistigen Behinderung zu bekommen, ist in diesen Fällen genau so gering wie bei anderen Eltern.
Diagnose
Die Diagnose einer geistigen Behinderung ist bei Kindern, die nicht frühzeitig besonders auffällige Symptome zeigen, nicht ganz einfach. Das ist einerseits darin begründet, dass die Entwicklung nicht bei allen in der gleichen Geschwindigkeit verläuft, andererseits darin, dass der Intelligenzquotient bei kleinen Kindern schwerer zu bestimmen ist.
Bei Kleinkindern findet dann eine klinische Beurteilung der intellektuellen Leistungsfähigkeit statt, die für eine Diagnose stark unter dem Durchschnitt liegen muss. Um eine akkurate Diagnose zu stellen, wird zusätzlich zur Intelligenz die soziale Anpassungsfähigkeit des Kindes beurteilt, wobei Einschränkungen in mindestens zwei Bereichen (wie z.B. Kommunikation, häusliches Leben, Schule, soziale Fähigkeiten etc.) bestehen müssen.
Liegt Ihr Kind in der Entwicklung gegenüber Gleichaltrigen sehr zurück, kann dies ein Zeichen für eine geistige Behinderung sein, muss aber nicht. Es kann sich beispielsweise um eine Entwicklungsstörung handeln, die sich durch geeignete Maßnahmen beheben lässt, so dass keine Beeinträchtigung zurückbleibt.
Auch gibt es Kinder, die aus den unterschiedlichsten Gründen einfach langsamer lernen als andere. Nehmen Sie die regelmäßigen Vorsorgeuntersuchungen wahr, erhalten Sie am ehesten Hinweise, inwieweit sich Ihr Kind normal entwickelt.
Führt Ihr Kind häufig unkontrollierte Bewegungen aus, zeigt keine oder verlangsamte Reaktionen oder ist die Sprachentwicklung deutlich verlangsamt beziehungsweise gestört, sollten Sie ebenfalls einen Arzt konsultieren. Je älter Ihr Kind wird, umso besser lassen sich Defizite erkennen. Solche können sich in Kommunikationsproblemen, Lernschwierigkeiten, motorischen Störungen oder Verhaltensauffälligkeiten zeigen.
Eine eindeutige Diagnose erfolgt durch Psychologen und Neurologen. Neben einem Intelligenztest werden weitere Tests hinsichtlich Reaktion, Motorik, Koordination und kognitiver Fähigkeiten durchgeführt.
Etwa ab dem Kindergartenalter kann eine Bewertung des Sozialverhaltens hinzugezogen werden. Anhand einer sogenannten Sozialreifeskala lassen sich im Anschluss eventuelle Abweichungen bestimmen. Da verschiedene Defizite auch psychisch bedingt sein können, wird außerdem das Umfeld des Kindes berücksichtigt. Gegebenenfalls werden zusätzlich Labortests wie eine Chromosomenanalyse durchgeführt.
Umgang mit einem geistig behinderten Kind
Eltern stehen zunächst vor der Schwierigkeit, die Behinderung ihres Kindes selbst verarbeiten und akzeptieren zu müssen. Auch im Anschluss benötigen sie häufig Unterstützung, um der Aufgabe gewachsen zu sein. Solche gibt es in Selbsthilfegruppen und in Frühförderungseinrichtungen.
Informationen zu entsprechenden Möglichkeiten vor Ort erhalten Sie unter anderem von Ärzten, Therapeuten und sozialen Diensten. Im Internet finden Sie außerdem unter www.intakt.info verschiedene Anlaufstellen.
Inwieweit Ihr Kind pflegebedürftig ist, richtet sich nach dem Grad der Behinderung. Bei einer leichten Form ist eine individuelle Förderung wichtig, damit es seine Fähigkeiten so optimal wie möglich entwickeln kann. Das betrifft vor allem Sprache, Motorik, Koordination, Kreativität und Sozialkompetenz.
Hierbei können sowohl Frühförderungseinrichtungen als auch spezielle Therapien helfen, welche sich nach der Art des Defizits richten. Dem Besuch eines normalen Kindergartens und einer Schule zusammen mit nicht behinderten Kindern steht dann meist nichts im Wege. Bei stärkeren Behinderungen ist die Unterbringung in einer Kindertagesstätte speziell für behinderte Kinder beziehungsweise einer Förderschule sinnvoll.
Zu Hause stellt sich für Eltern das Problem, ihr Kind zu fördern, es aber weder zu über- noch zu unterfordern. Es muss stets die individuelle Lern- und Leistungsfähigkeit berücksichtigt werden. Diesbezüglich können Ärzte und Therapeuten am besten beraten.
Behandlungsmöglichkeiten
Eine geistige Behinderung gilt als nicht heilbar. Wohl aber können die frühe Förderung, Therapien und gegebenenfalls medikamentöse Behandlungen gezielt eingeschränkte Fähigkeiten schulen oder Verhaltensauffälligkeiten lindern.
Welche Maßnahmen geeignet sind, hängt wiederum von der Art und dem Grad der Behinderung ab. So kommen bei Autismus je nach Ausprägung Förderungen durch Ergotherapie, Logopädie, Kunst- und Musiktherapie zum Einsatz.
Ähnliche Ansätze sind beim Downsyndrom üblich, wobei hier häufig Begleiterkrankungen zusätzlich eine medikamentöse Behandlung erfordern. Formen der Epilepsie, die mit einer geistigen Behinderung einhergehen, erfordern neben einem liebevollen Umfeld und Förderung ebenfalls eine medikamentöse Behandlung.
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